WEIG.de Kontakt Termin Icon LinkedIn Follow us
Nachgefragt
02.05.2022

Experteninterview Prof. Dr. Michael Grömling

Aktuell korrigieren die meisten Wirtschaftsexperten ihre zuvor zuversichtlichen Prognosen für Deutschland und Europa deutlich nach unten. 

Prof. Dr. Michael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ist einer der führenden Konjunkturforscher Deutschlands. Im Gespräch mit Roland Rex, Leitung Kundenfokus und Geschäftsentwicklung bei WEIG, wagt er einen Blick in die wirtschaftliche Zukunft und spricht über die aktuellen Herausforderungen der deutschen Industrie – vom zunehmenden Fachkräftemangel über die Gefahren der Deglobalisierung bis hin zur bevorstehenden Energietransformation.

Erfahren Sie mehr über die wirtschaftlichen Megatrends unserer Zeit im Video. 

Das komplette Transkript des Interviews finden Sie unter dem Video zum Nachlesen.

Rex: Herr Prof. Dr. Grömling, vielen Dank, dass Sie für dieses kurze Gespräch zur Verfügung stehen. Sie sind Konjunkturforscher beim Institut der Wirtschaft in Köln und leiten dort die Forschungsgruppe „Gesamtwirtschaftliche Analysen“. Im Kölschen Grundgesetz steht unter anderem: „Et hät noch immer jod jejange.“ Das scheint in diesen Zeiten aber nicht mehr unbedingt haltbar zu sein, denn eigentlich korrigieren alle Konjunkturforscher gerade ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum in Deutschland und Europa deutlich nach unten. Sie auch?

Grömling: Ja, Herr Rex, natürlich wir auch. Zumindest wenn wir uns an der Prognose vom Jahresende 2021 orientieren. Die war sehr, sehr zuversichtlich. Und zwar, glaube ich, mit guten Argumenten. Uns drückt immer noch die Pandemie. Das wissen Sie selbst. Fehlende Mitarbeiter, die Logistik … Die globale Logistik ist nach wie vor gestört. Zulieferungen bleiben aus. Das belastet immer noch. Die Zuversicht seitens der Unternehmen, was Investitionen angeht, der aufgestaute Konsum bei den privaten Haushalten – das hat uns doch mit hoher Zuversicht in dieses Jahr 2022 hineingehen lassen.

Aber wie wir jetzt in diesen letzten Wochen schmerzhaft erfahren mussten, löst sich diese Zuversicht auf. Der Krieg wird erhebliche Abschläge bei der Prognose mit sich bringen. Wir warten derzeit noch. Wir warten auch die Weiterentwicklung der geopolitischen Rahmenbedingungen ab. Wir haben jetzt im April prognostiziert. Wir haben dafür zunächst mal ein politisches Szenario entwerfen müssen, auf dem die Prognose aufsetzt, und werden dann Anfang Mai liefern. Ich bin recht froh, dass wir diese Zeit zum Beobachten und Warten noch haben.

Rex: Sehen Sie vor dem Hintergrund eines kommenden niedrigeren Wirtschaftswachstums denn dann, dass wir die von der Politik inspirierten Hilfsprogramme und Sondervermögen überhaupt leisten können?

Grömling: Nun, da stellt sich die Frage nach den Alternativen, Herr Rex. Das haben wir während der Corona-Pandemie ebenfalls diskutiert. Wo sind Möglichkeiten und Grenzen staatlichen Handelns? Aber wir müssen immer mitbedenken: Was sind die Effekte für das Produktionspotenzial? Ich glaube, vieles hat sich ausgezahlt, was wir infolge der Pandemie unternommen haben, um Unternehmen zu stützen, um letztlich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stützen. Ich kann mir vorstellen, dass der Preis erheblich höher gewesen wäre, wenn wir nichts getan hätten.

Vor der gleichen Frage stehen wir jetzt auch: Was ist die Alternative? Ist Nichtstun kurzfristig billiger und geht es nicht langfristig dann mit erheblich höheren Kosten einher? Ich denke, das ist ein schwerer Spagat für die Politik. Aber ich neige dazu, dass uns Nichtstun derzeit teurer kommt oder zumindest langfristig teurer kommt.

Rex: Inzwischen gibt es die ersten Stimmen, die verkünden, dass es mit dem Wohlstand, wie wir ihn in den letzten Jahrzehnten kannten, vorbei sein wird. Sehen Sie das genauso?

Grömling: Ich glaube, da gibt es gute Argumente. Und jetzt nicht nur angefacht durch den Krieg und die Pandemie. Die großen Herausforderungen, die großen Mega-Trends, die kennen wir seit langer Zeit. Die Art und Weise, wie wir vonseiten der Politik damit umgegangen sind, das war halbherzig. Und diese Anpassungslast, die steht jetzt vor der Brust – ungeachtet des Krieges. Der Krieg in der Ukraine wird das möglicherweise verschärfen.

Von was rede ich? Das sind einmal die Anpassungslasten durch den demografischen Wandel: Das ist der starke Rückgang der Erwerbsbevölkerung in Deutschland, die Verschärfung der bestehenden Fachkräfteprobleme. Das wird uns in Zukunft gesamtwirtschaftlichen Wohlstand kosten. Auch die Umgestaltung der Wirtschaftswelt durch die Deglobalisierung und die Dekarbonisierung. Auch das geht zunächst mit Anpassungslasten einher und erfordert seinen Preis in Form von ausfallendem Wohlstand.

Rex: In der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Lage wird auch immer wieder vor „Stagflation“ gewarnt. Was bedeutet das eigentlich und ist die Sorge vor Stagflation berechtigt?

Grömling: Das setzt genau auf der vorhergehenden Frage auf. Stagflation ist zunächst ein Kunstwort und setzt sich aus zwei Begriffen zusammen. Stagnation, also eine kaum noch oder überhaupt nicht mehr wachsende Wirtschaft – und zwar nicht nur kurzfristig, sondern eine über einen längeren Zeitraum stagnierende Volkswirtschaft –, das ist der eine Begriff. Der andere ist die Inflation. Das heißt Teuerung auf breiter Ebene. Nicht nur die Verteuerung einzelner Preise, sondern ein insgesamt steigendes Preisniveau, was letztlich dann auch zu Verzicht an anderer Stelle aufruft.

Die säkularen, langfristigen Treiber dieses Stagflationsbildes, also einer schwach wachsenden Wirtschaft kombiniert mit höheren Preisen, sind die gleichen Argumente, die wir bereits genannt haben. Das sind die Anpassungslasten durch die demografische Entwicklung. Das heißt, die Unternehmen können an bestimmten Stellen nicht mehr mit der Schlagkraft produzieren, wie sie das gewohnt waren. Sie müssen vor allem höhere Kosten, insbesondere Arbeitskosten in Kauf nehmen.

Die Dekarbonisierung ist kein „Free Lunch“. Die damit einhergehende Transformation im Wirtschaftsleben schafft Anpassungslasten. Das wird nicht reibungslos laufen und kostet zunächst Wachstumspunkte. Und es schafft für viele Unternehmen Kosten. Das ist das, was dann letztlich in die Inflationsrechnung einzahlt.

Und nicht zuletzt ist es auch die Art und Weise, wie wir von der Globalisierung in den letzten Jahrzehnten profitiert haben – höhere Effizienz im Wirtschaftsleben, Stichwort Wachstum, aber auch niedrigere Preise. Und das passiert nicht nur durch die Pandemie und den Krieg, sondern es gab auch Vorbereiter dieser Deglobalisierung, die möglicherweise jetzt vor der Brust steht. Das waren Leute wie Trump, Brexit und vieles andere mehr, die letztlich diese große Straße der nicht-gewollten Kooperation gepflastert haben. Und all das zahlt auf dieses Stagnation- oder Stagflationsszenario ein.

Rex: Die Bundesregierung treibt den Wandel hin zu erneuerbaren Energien trotz all dieser aktuellen Herausforderungen mit Hochdruck weiter voran. Können wir diese zusätzliche Last zum jetzigen Zeitpunkt aus konjunktureller Sicht denn auch noch stemmen?

Grömling: Nun, per se ist ja dieser Wandel hin zu erneuerbaren Energien nichts Schlechtes. Das ist einmal mit Blick auf die langfristigen Klimaziele, die wir doch, glaube ich, aus guten Argumenten haben. Und aus aktuellem Anlass hat das ja auch eine sicherheitspolitische Komponente bekommen, dass man Autonomie nicht nur in der Technologie und was Wertschöpfungsketten angeht, braucht. Auch Rohstoffsicherung ist ein ganz wichtiger Punkt. Und nicht zuletzt auch in der Energieversorgung der Menschen und auch insbesondere der Unternehmen. Es gibt, glaube ich, wenige Branchen, in denen das so notwendig ist, wie beispielsweise in der Papierindustrie. Diese Grundpfeiler des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens müssen letztlich gesichert werden. Erneuerbare Energien können da einen ganz wichtigen Beitrag leisten. Ich glaube, das ist mittlerweile unstrittig.

Die Frage ist: Wie begleite ich diesen Prozess? Welche Absicherungspotenziale habe ich? Einmal mit Blick auf die Versorgungssicherheit, das werden wir möglicherweise im nächsten Winter auszutesten haben. Aber zweitens auch, was die Kosten der Unternehmen angeht. Und am Ende des Tages auch die Kosten der privaten Haushalte. Sie haben das Stichwort der Stagflation aufgerufen. Auch hier gilt es, Sorge zu tragen. Ja, der Weg in die erneuerbaren Energien ist richtig, aber nochmals: Er muss abgesichert sein durch entsprechende alternative Energieträger, um letztlich hier ökonomisches und gesellschaftliches Chaos zu vermeiden.

Rex: Herr Prof. Grömling, herzlichen Dank nochmals für das extrem informative und für uns hilfreiche Gespräch. Alles Gute für Sie.

Grömling: Vielen Dank, Herr Rex.

Video-Chat

Termin im Kalender auswählen und mit einem unserer Experten direkt per Video chatten.

Jetzt Termin vereinbaren