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Nachgefragt
24.11.2022

Experteninterview Christian Schiffers

Die Faltschachtelindustrie steht aktuell vor vielen Herausforderungen. Christian Schiffers, Geschäftsführer des Fachverbands Faltschachtelindustrie in Deutschland, vertritt die Branche seit mehr als einem Jahrzehnt im nationalen und internationalen Raum. Im Gespräch mit Roland Rex, Leitung Kundenfokus und Geschäftsentwicklung bei WEIG, teilt er tiefgehende Einblicke in die aktuellen Herausforderungen und Trends der Branche – von der Energiekrise über den No-Plastic-Trend bis hin zu den neuesten regulatorischen Anforderungen.

Erfahren Sie mehr über die wichtigsten Entwicklungen auf dem Faltschachtelmarkt in unserem Video.

Das komplette Transkript des Interviews finden Sie unter dem Video zum Nachlesen.

Rex: Herr Schiffers, herzlichen Dank, dass Sie uns für dieses kurze Gespräch zur Verfügung stehen.

Schiffers: Sehr gerne, Herr Rex. Guten Morgen.

Rex: Sie sind Geschäftsführer des FFI, dem Fachverband Faltschachtelindustrie in Deutschland. Der FFI ist der größte nationale Verband der Branche in Europa. Und in Ihrer Funktion vertreten Sie die Interessen der deutschen Faltschachtelindustrie in zahlreichen Gremien auf nationaler, aber auch auf europäischer Ebene. Was sind aktuell die großen Themen rund um die Faltschachtelverpackung, Herr Schiffers?

Schiffers: Ich denke, die deutsche Faltschachtelindustrie nimmt gegenwärtig gegenüber allen anderen Industriezweigen, Gewerbe, Handel und Handwerk keine Sonderrolle ein. Wir sind natürlich genauso wie die anderen Branchen betroffen von den ungewissen Entwicklungen auf den Rohstoffmärkten und bei der Energieversorgung, bei den Energiepreisen. Und das ist tatsächlich etwas, was die Branche, was die Unternehmen im Moment sehr stark beschäftigt: die Energieversorgung sicherzustellen, die Rohmaterialversorgung auch unter dem Aspekt der Preissteigerungen zu gewährleisten und das dann natürlich auch entsprechend an die Kunden zu kommunizieren.

Ansonsten haben wir immer noch zu tun mit dem professionellen Supply-Chain-Management zur Versorgung eben der Markenartikler und des Handels mit Faltschachteln. Die Corona-Krise und danach auch eben der Ukraine-Krieg haben die Lieferketten in einzelnen Segmenten, in die die Faltschachtelindustrie liefert, sehr stark positiv wie negativ beeinflusst mit starken Volatilitäten bei einem ansonsten doch bis zur Corona-Krise relativ vorhersehbaren Markt. Weil eben 80 Prozent der Faltschachteln für schnelldrehende Konsumgüter – wie Lebensmittel, wie Pharmazie-Produkte, Kosmetikprodukte – vorgesehen sind und dort eingesetzt werden oder auch im Bereich der Unterwegs-Versorgung. Also die Corona-Krise hat eben dieses Nachfrage-Verhalten sehr stark beeinflusst und das hat eben die Lieferketten sehr stark beeinträchtigt – im positiven wie im negativen Sinne. Und wir sind nach wie vor noch dabei, in einer ausgeprägten Kommunikation mit den Lieferanten und mit den Kunden zu versuchen, hier wieder die Lieferketten in Einklang zu bringen.

Es gab zum Teil sehr starke Nachfragesituationen der Markenartikelindustrie nach Faltschachtelverpackungen oder faserbasierten Verpackungen. Und hier gab es dann auch leider entsprechend zum Teil nicht die Versorgungsmöglichkeiten mit Faltschachteln, sodass wir da unser Augenmerk natürlich darauf richten, dies wieder in Einklang zu bringen.

Und dann vielleicht auch ein sehr praktisches Problem, das hängt auch immer noch mit der Pandemie zusammen: Sie wissen, die Infektionszahlen, die gehen rauf und runter. Jetzt wird für den Herbst wieder ein Anstieg erwartet. Obwohl wir auch im Sommer zahlreiche Berichte aus Betrieben hatten, dass dort Infektionswellen durch die Betriebe laufen. Das heißt eben, die Aufrechterhaltung der Produktionstätigkeiten ist tatsächlich in der arbeitstäglichen Situation immer wieder eine große Herausforderung. Also das sind so die großen Themen, die uns sehr stark beschäftigen.

Rex: Also sehr viele operative Themen: am Laufen bleiben, die Versorgung sicherstellen, … . Wie kann denn die Faltschachtelindustrie von der deutlich wahrnehmbaren No-Plastic-Welle profitieren?

Schiffers: Ja, die Frage hängt natürlich mit dem zusammen, was wir gerade schon besprochen haben. Das ist nicht nur eine operative Tätigkeit oder ein operativer Aspekt. Das sind tatsächlich auch strategische Aspekte. Und wenn wir sagen, dass wir zum Beispiel in der Vergangenheit Kundenanfragen nach zusätzlichen Faltschachteln nicht bearbeiten konnten, nicht behandeln konnten, stellt sich eben die Frage: Hängt das eben im Zusammenhang mit dieser No-Plastic-Diskussion, dass Kunden auch mehr und mehr umsteigen wollen auf faserbasierte Verpackungen oder dass sie den Faseranteil in Kombinationsverpackungen erhöhen wollen?

Und profitieren können wir – oder haben wir schon –, wenn Sie selber Ihre „store inspections“ machen. Zum Beispiel im Bereich Obst und Gemüse, da sieht man schon Umstellungen auf faserbasierte Verpackungen, oder im Bereich Getränke. Getränke vielleicht mehr noch, wenn wir das Ganze europäisch betrachten, im Ausland. Wir haben ja in Deutschland im Bereich Bier und Wasser und Erfrischungsgetränke doch im Vergleich eine sehr hohe Mehrweg-Quote in Glasverpackungen. Aber im europäischen Ausland ist viel in Einweg-Gebinden, die eingeschrumpft sind, und dort hören wir eben aus Partnermärkten, dass im Bereich Getränke doch eine sehr große Nachfrage ist seitens der Markenartikler, hier umzustellen. Also da kommt es natürlich auf die verlässliche Kooperation an, dass wir in Zukunft eben solche Mengen dann auch zur Verfügung stellen können. Aber ich glaube insgesamt, es ist ja kein Kunststoff-Bashing, aber es ist allgemein eben der Wunsch der Gesellschaft nach nachhaltigeren Verpackungslösungen. Und die können wir anbieten. Und insofern kann die Faltschachtelindustrie, aber auch andere faserbasierte Branchen, die können davon durchaus profitieren in der Zukunft.

Rex: Welche Rolle spielt denn in diesem Zusammenhang das Thema Verbundverpackungen und Rezyklierbarkeit von Verbundverpackungen?

Schiffers: Na gut, der unbestreitbare Vorteil von Kunststoffverpackungen ist natürlich, dass sie sehr gute Barriere-Eigenschaften haben, zum Beispiel gegen Wasserdampf, gegen Sauerstoff, gegen UV oder gegen Fettdurchlässigkeit. Das Wichtige zu wissen ist dabei aber, dass es oftmals und meistens auch nur Kunststoff-Kunststoff-Kombinationsverpackungen sind, also auch Kunststoff-Verbunde in dem Sinne. Und diese sind eben nicht recyclingfähig. Mono-Kunststoffverpackungen sind sehr gut recyclingfähig, bilden ein gutes Rezyklat. Aber Kunststoff-Kunststoff-Verbunde eben nicht.

Der Vorteil des Papierverbunds liegt nun darin, dass wir hier den Faseranteil, also dass wir einmal das Fasersubstrat haben, was formgebend ist, was gut bedruckbar ist, was eben die strukturelle Einheit bildet. Und das kann man kombinieren mit einer minimal erforderlichen Menge an Kunststoff, um eben diese Barriere-Eigenschaft zu gewährleisten. Und positiv ist eben, dass sich solche Verbunde sehr gut in Standardanlagen der altpapierverarbeitenden Industrie verarbeiten, also recyclen lassen. Zahlreiche Untersuchungen, die wir durchgeführt haben, aber auch andere Verbände der Papierverarbeitung, die belegen das. Dieses Fasermaterial aus solchen Verbunden kann eben wiedergewonnen werden, es kann wieder genutzt werden für neue Papierprodukte, für neue faserbasierte Verpackungen. Und insofern weisen solche Papierverbunde eigentlich eine sehr gute Recyclingfähigkeit auf. Natürlich, bei der Zerfaserung gewinnt man das Fasermaterial als Rezyklat, das Polymermaterial kann nicht wiedergewonnen werden, weil wir unterschiedliche Kunststoffarten dann im Altpapierstrom haben und eine Separierung ist hier nicht möglich. Das heißt, hier bleibt dann nur die Entsorgung oder die energetische Verwendung.

Und wenn man sich dann eben mal eine solche Verbundverpackung anschaut: Wir haben beispielsweise eine beschichtete Faltschachtel, die besteht zu 95 Masseprozent aus Karton und zu fünf Masseprozent eben aus einem Kunststoffmaterial, aus einem Polymermaterial oder auch aus einem Aluminiummaterial, dann liegt eben die Recyclingfähigkeit bei annährend 95 Prozent, nämlich in Bezug auf diesen Faseranteil. Und ich denke, das verdeutlicht – und das belegen ja auch die Studien – die sehr gute Recyclingfähigkeit von faserbasierten Verbundmaterialien.

Rex: Gibt es denn in diesem Zusammenhang neue regulatorische Vorhaben, die die Faltschachtelindustrie dann auch vor neue Herausforderungen stellen?

Schiffers: Ja. Wir haben ja dieses Beispiel, das ich gerade nannte, diese sogenannte 95-5-Regel, die es seit vielen Jahrzehnten schon gibt. Ein Papierverbund besteht zu 95 Prozent oder mehr aus Papier oder Karton und zu weniger als fünf Masseprozent aus Kunststoff. Dieser kann dann noch als Mono-PPK betrachtet werden, also PPK steht für Papier, Pappe und Karton. Dieser ist zur Entsorgung als Papier zu lizensieren. Und ihr vorgesehener Entsorgungsweg ist die Altpapiertonne, zumeist in Deutschland die Blaue Tonne beim privaten Endverbraucher. Wenn der Fremdmaterialanteil dagegen fünf Masseprozent oder mehr beträgt, dann verliert diese Verpackung diesen Mono-Status und wird zu einem Verbund und der ist dann als Verbund zu lizensieren, was deutlich teurer ist für den Markenartikler als eine reine 95-5-Verpackung. Und die muss dann als solche in der Fraktion Leichtverpackungen – das ist in Deutschland der Gelbe Sack, die Gelbe Tonne – dort eben gesammelt werden.

Und wir haben in einer großen Studie, die wir durchgeführt haben mit Partnerverbänden, eben aufgezeigt, dass seit Jahrzehnten schon der Verbraucher aber solche Verbunde, zum Beispiel eine 90-10-Verpackung, die eigentlich in den Gelben Sack gehört, doch in die Blaue Tonne wirft, weil es sein Materialempfinden ist, dass das eine Papierverpackung ist. Und genauso lange, seit Jahrzehnten, wird eine solche Verbundverpackung auch erfolgreich von der altpapierverarbeitenden Industrie verarbeitet und recycelt. Auf der anderen Seite übrig bleiben dann eben 30 Prozent, die leider im Restmüll landen. Vielleicht weil Produktanhaftungen vorhanden sind und der Verbraucher dann entscheidet: das ist eher dem Restmüll zuzuordnen. Und nur 20 Prozent dieser eigentlich für den Gelben Sack vorgesehenen Verbunde landen im Gelben Sack.

Das Problem ist wiederum jetzt damit: Das will keine altpapierverarbeitende Fabrik haben. Warum? Der Gelbe Sack gilt als feuchte Sammlung. Das heißt, hier findet eine große Kontamination des Fasermaterials statt. Und nicht aus dem eigentlichen Lebensmittelinhalt, sondern 80 Prozent der Verunreinigungen kommen über den Gelben Sack auf einen solchen Faserverbund. Und dieses Material will dann keiner haben. Und die regulatorische Herausforderung ist eben hier – vielleicht auch zunächst über Forschungsprojekte, die schon laufen – zu belegen, dass über entsprechende Aufreinigungsverfahren dieses Fasermaterial doch noch gewonnen werden kann, und zwar für Lebensmittelanwendungen später. Denn das ist im Moment die Krux an der rechtlichen Regelung: das, was an Papier im Gelben Sack ist, darf nicht verwendet werden für Lebensmittelanwendungen bei faserbasierten Verpackungen. Also das ist eine Herausforderung in diesem Bereich, mit der wir zu tun haben. Das ist etwas sehr Spezifisches. Das kann ich nachvollziehen.

Andere Herausforderungen, Themen, mit denen wir uns beschäftigen – da sind wir aber auch wieder gleich wie der Rest der Industrie –, das ist zum Beispiel die EU-Taxonomie. Das heißt, hier wird es ja zu einem weiteren bürokratischen Aufwand kommen für die Unternehmen insgesamt in Deutschland, in Europa, was die Stichhaltigkeit ihrer Umweltberichterstattung angeht, weil die ja dann auch wieder Basis ist für Investorenentscheidungen. Also hier ist neue Bürokratie zu erwarten.

Und ein Thema, was uns auch sehr beschäftigt gegenwärtig – auch mit Veranstaltungen, mit Informationen –, ist zum Beispiel das Lieferkettengesetz. Oder die Lieferkettengesetze. Wir haben ja ein deutsches und ein europäisches. Das gilt zwar erst für Unternehmen ab einer gewissen Größe, unter die eigentlich kaum ein Faltschachtelhersteller fällt. Aber wir kennen das ja alle: Sobald ein Markenartikler, ein Händler eben für gewisse Lieferanten dieses einfordert, weil es die gesetzliche Anforderung ist, überträgt er das gleich an alle Lieferanten. Und hier diese Nachweispflichten, dass die Lieferanten der Faltschachtelindustrie soziale und Nachhaltigkeitsstandards in ihren Bezugsländern einhalten, das stellt uns doch wieder vor eine Herausforderung: Wie will man das selber analysieren? Wie fragt man solche Informationen bei den Lieferanten ab? Wie dokumentiert man das, wenn staatliche Kontrollen dann eben hier greifen?

Also das sind Themen, mit denen wir uns im Moment schon intensiv auseinandersetzen.

Rex: Der von manchen so bezeichnete Regulations-Tsunami, der wird auch auf die Faltschachtelindustrie zurollen. Das ist eher nicht aufzuhalten, ja.

Schiffers: Ein Tsunami besteht ja oft aus mehreren Wellen und ich habe das Gefühl, wir sind in der ersten oder zweiten Welle schon voll drin und es werden weitere folgen, von denen wir nicht wissen, wie viele es sind.

Rex: Vielleicht noch ein ganz anderes Thema zum Schluss. In den zurückliegenden ein, zwei Jahren haben wir bei Karton und Faltschachtel eine hohe Konzentrationsdynamik erlebt. Wie wird sich dies Ihrer Einschätzung nach fortsetzen? Was bedeutet das für die Branche insgesamt?

Schiffers: Ja, das ist schwer zu sagen. Es lässt sich da nur vermuten. Vor Jahren hieß es schon, dass wir zu einer Konsolidierungswelle kommen. Ich bin jetzt schon eineinhalb Jahrzehnte in dieser Funktion beim FFI und es ist vielleicht die ersten zehn Jahre da gar nicht so viel passiert. Aber die Dynamik hat doch in den letzten ein, zwei, drei Jahren ganz deutlich zugenommen. Wir haben da natürlich als Verband relativ wenig Einblicke in die strategischen Überlegungen und Diskussionen der Unternehmen selbst, sondern bekommen dann erst im Anschluss die Informationen, wenn eine entsprechende Berichterstattung stattfindet.

Wir haben einen heterogenen Markt. Das muss man feststellen. Nach wie vor ist dieser Markt noch heterogen. Wenn wir uns das Ganze europäisch anschauen: es gibt ungefähr 1.000 Faltschachtelhersteller grob geschätzt in Europa – Faltschachtelhersteller in Form von Unternehmen und Unternehmensgruppen. Und die zehn größten Gruppen, also ein Prozent des Marktes an Unternehmen, die teilen sich jetzt schon 50 Prozent des Gesamtumsatzes. Das heißt, die anderen 99 Prozent teilen sich die restlichen oder die andere Hälfte dieses europäischen Marktes auf. Das ist insgesamt ein Markt von 10 Milliarden Euro Umsatz. Ich persönlich kann mir gut vorstellen, dass es in den nächsten Jahren eben weitere Meldungen geben wird über Unternehmenszusammenschlüsse.

Wir sind halt in der Situation, dass im Grunde genommen die Faltschachtel ja keine Raketentechnologie ist. Man spricht da immer wieder von „me too“. Da heißt, das Thema des USP ist oft und von vielen Unternehmen schwer darstellbar. Insofern ist die Branche da sehr stark kosten- und profitabilitätsgetrieben. Und diese Umstände werden sicherlich einen Einfluss haben auf den zukünftigen Erfolg jedes einzelnen Unternehmens. Und da kann ich mir vorstellen, wenn es entsprechend keine strategischen Fokussierungen gibt auf bestimmte Märkte, auf bestimmte Technologien, auf Absatzsegmente oder auch auf Regionen, dann findet man in einem solchen Bereich gegebenenfalls dann eben entsprechende Meldungen, dass es hier zu Zusammenschlüssen kommt oder zu Übernahmen kommt, um entsprechende Skaleneffekte dann zu nutzen. Also das wäre mal vorsichtig meine Einschätzung dazu.

Rex: Herr Schiffers, vielen Dank für Ihre interessanten Ausführungen. Ich sage: alles Gute.

Schiffers: Sehr gerne, Herr Rex. Ihnen auch eine gute Zeit. Tschüss, machen Sie’s gut.

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